In Kapitel 4 meines Buches geht um unsere erste Zeit in den Reihen der Zeugen Jehovas.
Was mit Love Bombing begann, wandelte sich in unzählige Vorschriften, Verbote und Manipulation, die mit der Mitgliedschaft in dieser Organisation einhergehen.
Was vom Berichteten hast du ähnlich erlebt?
Ich freue mich auf deinen Kommentar.
Deine Esther
„Und formt euch nicht mehr
nach diesem System der Dinge,
sondern werdet durch die Neugestaltung
eures Sinnes umgewandelt, damit ihr durch Prüfung
feststellen könnt, was der gute und annehmbare
und vollkommene Wille Gottes ist.“
An die Römer, Kapitel 12, Vers 2
(Neue-Welt-Übersetzung, Zeugen Jehovas, 1985)
Bei unserem ersten Besuch im Königreichssaal, der Anbetungsstätte der Zeugen Jehovas, badeten meine Eltern im „Love-Bombing“. So nennen Sektenaufklärer das Einschmeicheln und Umwerben der Neuankömmlinge. Jeder, der an den Zeugen Jehovas interessiert ist, schwimmt in Zuneigungsbekundungen. Auch unsere Familie begegnete offenen Armen. Die Menschen waren liebenswürdig, offenherzig, aufmerksam. Wir erfuhren Freundschaft, Nähe, Verständnis, ja sogar Liebe. Neid, Ablehnung oder Überheblichkeit existierten scheinbar nicht. Wir spürten, wir waren von Herzen willkommen. Diese Gefühle sind zum Teil wahrhaftig. Ein Zeuge Jehovas ist überglücklich, einen Ungläubigen aus Satans Fängen gerettet zu haben. Die Hoffnung, seine verstorbenen Lieben im Paradies wiederzusehen, spielt eine wichtige Rolle. Beinahe jeder hat schon einmal einen Angehörigen verloren. Welch attraktives Versprechen, seine geliebten Menschen wiederzutreffen! Aber: „Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht wahr“. (Laotse)
Das „Love-Bombing“ wirkte im Nachhinein auf mich wie ein Trick, um die wahren Absichten zu verbergen. Wir erlebten anschließend permanente Kontrolle, Manipulation und Grenzüberschreitung.
Schnell waren wir tief in die Glaubensgemeinschaft gerutscht. Gefangene, die es nicht merkten. Der Krake der Täuschung und Tarnung hatte seine kalten und berechnenden Tentakel nach uns ausgestreckt. So wurden wir „(…) Opfer von Opfern und Mitläufer von Mitläufern (…)“ (Zitat aus „Der Gewissenskonflikt“ von Raymond Victor Franz, ehemaliges Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas in New York).
Noch immer hinterfragen zu wenige Mitglieder das Organisationssystem. Es ist strikt untersagt. Wer stellt schon die Absichten Gottes, vermittelt durch den Heiligen Geist an seine einzig wahre irdische Organisation auf Erden, vertreten durch eine Leitende Körperschaft1, in Frage? Wenn jemanden dennoch Zweifel überkommen, dann ist nicht die Organisation schuld, sondern der Einzelne selbst. Nicht das Wir. Du! Du bist falsch, nicht gut genug, unvollkommen! Bete hingebungsvoller, predige viel und viel mehr! Das hilft! Festige deinen Glauben! Mit Jehovas Schriften2. Nicht mit dem Satanswerk der Welt da draußen, vor allem nicht mit den aufklärerischen Abhandlungen der Aussteiger! Suche intensiver nach Gottes Liebe! Sie gibt dir Kraft und Zuversicht!
Amen.
Wir gingen dreimal in der Woche in die Versammlung. Unser Königreichssaal war ein alter, flacher Bau mit Hauptsaal und Nebenraum in der Altstadt Schongaus. Über unseren Köpfen hingen mächtige, quadratische Lampen mit Neonröhren. Kerzen sind verpönt. Es soll keine Kirchenstimmung aufkommen. Hinten im Saal war eine Regalwand mit Musikanlage für die Bühnenmikrofone. Dort stand ein Plattenspieler, auf dem ein älterer, großer und grimmiger Glaubensbruder die kratzigen und scheppernden Schallplatten abspielte. Königreichsmelodien. Schwere Orchestermusik, die mir Gänsehaut bescherte. Wenn sie erklang, griffen die Anwesenden um mich herum wie in Trance zu den Liederbüchern und sangen. Nicht der große Grimmige am Schallplattenspieler. Er gab selten einen Laut von sich, ob gesprochen oder gesungen. Sein stechender Blick bereitete mir Unbehagen.
Die Luft war stickig, und weil der Saal zumeist voll besetzt war, saßen wir wie die Heringe in der Dose. Als Zeugin trug ich, ob Winter oder Sommer, Strumpfhosen und lange Röcke. Nackte Beine sind verpönt. Meine Füße steckten in klobigen Halbschuhen, im Sommer mit Feinstrumpfhose in unförmigen Riemchensandalen. Meinen Oberkörper verhüllte ich mit einer Bluse, im Winter mit dicker Strickjacke darüber, weil wir die zwei Kilometer zum Königreichsaal zu Fuß gingen. Unser Pilgerweg. Bei Wind und Wetter. Bei Sonnenschein und Regen. Selbst in klirrender Kälte. Wir hatten damals kein Auto. Zwar konnte ich meine Jacke in der Garderobe lassen, aber ich schwitzte. Oft trug ich zu warme Kleidung, altmodisch und grau. Ich sehnte mich nach Jeans und Pullover mit farbigen Aufdrucken. Einmal kaufte mir meine Mutter ein Sweatshirt mit Micky Maus. Mein Vater rastete aus, duldete aber schließlich das Teufelswerk an mir, solange ich es nicht in der Öffentlichkeit trug. Wenn er etwas Fehlerhaftes an mir entdeckte, nutzte er das Sweatshirt als Strafe. Er zwang mich, es auszuziehen und nahm es mir weg. Irgendwann sah ich es nie wieder.
Wenn ich ein artiger Untertan sein wollte, musste ich auf moderne, hippe, schöne Klamotten verzichten, auch wenn meine Haut in den mir aufgezwungen Kleidungsstücken kaum atmen konnte.
Im Königreichsaal stand eine gemauerte Bühne mit Teppich und Pult für die Vortragsredner, daneben ein Tisch mit Stühlen für die Predigtdienstschule der sogenannten Verkündiger. Das sind Gläubige, die den Predigtdienst3 verrichten.
Mein Vater saß am liebsten vorn. Zweite Reihe, Mittelgang, links am Rand. Nachdem 1983 der neugebaute Königreichssaal im Westen Schongaus mitsamt moosgrünen, dick gepolsterten, bequemeren Bankreihen fertiggestellt war, saß er in der zweiten Reihe von hinten, ganz links. Ich bin mir sicher, da sitzt er noch heute.
Die neuen Sitzbänke polsterte eine Weilheimer Glaubensfamilie. Karl und Barbara. Ich sah die beiden mit ihren Kindern auf Kongressen. Wir waren nicht befreundet und hatten keinen näheren Kontakt, aber Barbara sollte viele Jahre später die Initialzündung für meinen Befreiungsschlag sein.
Die Stühle im alten Königreichsaal hatten silberfarbene Metallbeine. Die Sitzflächen waren aus Holz und mit einem weinroten Stoff überzogen. Hart und unbequem. Mein Po schmerzte nach wenigen Minuten und ich verbrachte Stunden damit, still zu sitzen, brav zu sein. Das schaffte ich, weil ich die Blumendekorationen anstarrte oder die großen runden Steine der Bühneneinfassung zählte.
Als ich das erste Mal den ausgeschmückten Schilderungen von „Harmagedon“ lauschte, fantasierte ich mit offenen Augen. Über mir brach die Decke herunter und ich schaute in den in Feuer lodernden Himmel. Dann stellte ich mir die U-Bahn in München vor, die mit Getöse aus dem Tunnel heraus in den Bahnhof braust, weiter in den Königreichsaal über die Bühne auf den Redner zu.
Ich beobachtete die anderen Kinder, darunter quirlige Jungs und plappernde Mädchen, die sich nicht wie ich mit Steine Zählen oder Fantasien zufriedengaben. Sie lebten ihren kindlichen Drang aus. Zur Bestrafung stolperten sie an der Hand eines Elternteils in einen Nebenraum. Ihr Wimmern, Weinen und Schreien, als sie geschlagen wurden, ermahnte mich zur Folgsamkeit. Ich entging der Prügel in der Versammlung, nicht aber den zwei Stunden religiös-fundamentalistischer Beschallung. Eine unfassbar quälend lange Zeit für ein Kind im Alter von fünf oder sechs Jahren. Die Versammlungen fanden abends statt. Ich war immer müde. In der vordersten Reihe sitzend spürte ich die Blicke auf mir. Ich wagte es nicht, mich zu bewegen, obwohl mein Kopf schwer war.
Mit dem Eintritt in die Glaubensgemeinschaft veränderte sich mein Leben grundlegend. Verzicht war plötzlich eine Tugend. Das spürte ich vor allem nach der Einschulung. Meine Mutter klärte meine Klassenlehrerin darüber auf, dass ich weder am Religionsunterricht noch an Veranstaltungen wie Festen teilnehmen durfte. Geburtstage und Feiertage4 waren für mich verboten. Unendlich viele Male saß ich in der Garderobe neben dem Klassenzimmer, während meine Schulkameraden Freude und Wissen teilten. Ich aß nichts von Geburtstagskuchen oder aus Weihnachtskalendern, bemalte keine Ostereier und dachte mir kein Geburtstagsgeschenk für die Lehrerin aus. Stattdessen zählte ich Jacken und Schuhe, bestaunte Farben und Stoffe. Wegen der Namensschilder an den Garderobenhaken wusste ich fehlerfrei, welcher Anorak und welches Paar Schuhe zu welchem Mitschüler gehörten. Mein Weg in die Isolation hatte begonnen. Ich war Außenseiterin. Dass ich zu Hause allein in meinem Zimmer sitzen und die Publikationen meiner Religion studieren musste, machte es nicht besser. Mein Vater wollte seine Ruhe. Seine Tochter wäre so gerne einfach ein Kind gewesen.
Das Thema Fasching zog besonders große Aufmerksamkeit auf sich. Das Fest der Narren besprach ein Ältester, eine Führungsperson der Zeugen Jehovas, mit uns während der gemeinsamen Autofahrt vom Königreichssaal nach Hause. Er hatte unansehnliche Haare, grau, etwas länger, fettig und in Bahnen nach hinten gekämmt. Er trug einen antiquierten Anzug, der modrig roch. Seine überdimensional große Brille, deren dicke Gläser seine Augen zu Froschaugen verwandelten, musste ich zum Glück nicht sehen. Auf dem Rücksitz zwischen meinen Eltern in Wintermänteln sitzend, hörte ich mir seinen Vortrag über den verhängnisvollen Karneval an. Der Ausspruch „carne vale“ bedeutet „Fleisch lebe wohl!“. Das Fest ist ein heidnischer Brauch5, und auch das hasst Jehova. Schade, denn wegen meines Geburtstags am 11.11. nannte mich meine pfälzische Familie „Narrenkind“. Meine persönliche fünfte Jahreszeit.
Mein Vater hing an den Lippen des alten Mannes und saugte alles wie ein Schwamm auf. Meine Mutter schaute die Fahrt über aus dem Fenster. Ob sie Gewissensbisse plagten, ob sie sich fragte, was sie uns eingebrockt hatte? Oder dachte sie darüber nach, wie sie mit mir ungesehen zum Kinderfasching gehen konnte? Denn das taten wir. Sie und ich führten ein Doppelleben. So oft sie konnte und wollte, lebte sie genau wie vor dem Eintritt in die Glaubensgemeinschaft.
Vielleicht suchte sie außerhalb des Autofensters unsere Lebensfreude, die sich aus unserem Alltag verabschiedete und das Andenken an die einst gefeierten Momente auslöschte. An ein Weihnachtsfest bei uns zu Hause erinnere ich mich nicht mehr. Aber das gab es und ebenso einen Weihnachtsbaum. Das beweist das Foto mit mir als Einjährige. Wenn ich das Foto betrachte, kommt es mir wie ein Fake vor. Bin das wahrhaftig ich?
Als Zeugin saß ich Heiligabend allein in meinem Zimmer. Es war ein Abend wie alle anderen 364 des Jahres. Schlimmer noch, denn der „von oben“ verordnete Hass meines Vaters auf diesen heidnischen Brauch, ließ die Stimmung meiner Familie an den Gefrierpunkt sinken. Wenn meine Eltern schliefen, tapste ich in das unbeleuchtete Wohnzimmer. Ich setzte mich auf die kalte Fensterbank und drückte meine Nase an die Scheibe. Das Funkeln und Leuchten der anderen Wohnzimmer in der Bundeswehrsiedlung schmerzten mein Kinderherz. Ich stellte mir vor, unter einem hell erleuchteten Weihnachtsbaum zu sitzen, das Geschenkpapier aufzureißen und vom Teller Süßes zu naschen. Ich träumte von Weihnachtsbraten, Schokoladennikoläusen, Unbeschwertheit und Gelächter. Der Traum meines Vaters war „Freiheit“. Wir hatten Weihnachten nicht nötig. Das war Schnickschnack. Wir, die Zeugen Jehovas, können uns an jedem beliebigen Tag beschenken. Wir sind an kein Datum gebunden. Das ist wahre Freiheit!
Leider vergaß er das Beschenken die meiste Zeit im Jahr. Mein Vater verabscheute selbst die Geschenke der Verwandtschaft. Wenn zu Weihnachten ein Paket ankam, rannte ich in die Küche und riss es mit meiner Mutter auf. Als ob es mein Vater riechen konnte, stürmte er hinterher, klappte das Paket zu und forderte meine Mutter auf, es umgehend zurückzuschicken. „Das kann das Kind nicht behalten!“, sagte er.
Ich weinte nicht.
Ich spürte Hass in mir, und er wuchs.
Das Gefühl der Vorfreude auf ein Geschenk oder gar der Überraschung war mir selten vergönnt. Bei einem dieser erlesenen Momente legten mir meine Eltern während des Bibelstudiums einen rechteckigen Karton mit roter Schleife auf den Schoß. Darin war eine Puppe, dreißig Zentimeter groß mit blonden, geflochtenen Zöpfen. Sie trug ein leuchtend blaues Matrosenkleid und ich umarmte sie fest, aus Angst, sie sei Fantasie und würde auf der Stelle verschwinden. Denn Fantasie hatte ich mehr, als mir lieb war. Die Bilder in meinem Kopf waren selten schöne. Die Begeisterung über diese Puppe, dieses weltliche Ding, war unermesslich groß, so wie der Wunsch, es würde alles wie früher werden.
Ein anderes Geschenk war ein knallrotes Akkordeon, das ich mit acht Jahren bekam. Meine Mutter lief höchstpersönlich mit mir einmal pro Woche durch die Stadt zum Musikunterricht, den sie wie das Instrument von ihrem knappen Lohn bezahlte. Der unförmige Musikkoffer war wuchtig. Sie musste sich anstrengen, aber beschwerte sich nie. Auch wenn ich das Akkordeon liebte, die Musik, die ich darauf spielen sollte, hasste ich. Mein Vater wünschte sich, dass ich volkstümliche Lieder spielte. Mir widerstrebte das Gedudel, weil mein Vater es liebte. Der „Musikantenstadl“ war seine Lieblingssendung und beinah das Einzige, was wir gemeinsam ansahen. Das TV-Gerät war für mich tabu und Kindersendungen flimmerten kaum über die Mattscheibe. Die Schlümpfe waren dämonisch und „Heidi“ ein freches, schreiendes Gör. Als Zeugin Jehovas wäre sie vermutlich oft in den Nebenraum gezerrt worden. Mein Vater hasste Heidi. Ich saß mit ihm vor dem Fernseher und langweilte mich mit seinem Musikantenstadl. Seiner geliebten „heilen Welt“. Dass ich Jahre später selbst in dieser Sendung vor diesen Fernsehkameras auftreten würde, ahnte ich nicht.
Wie alles in meinem Leben war diese Musik aufgezwungen. Ich hingegen mochte die Musik, die ich auf den Kassetten und Schallplatten meiner Mutter hörte. Heimlich lauschte ich Liedern wie „Mississippi“ von der Band „Pussycat“, die ich später als Berufsmusikerin hinter den Kulissen einer TV-Sendung traf. Das rührt mich bis heute.
Da war eine Schallplatte meines Vaters, die ich gern abspielte. Zufälligerweise war der Interpret „Ricky King“ ein Glaubensbruder. Es war Gitarrenmusik, und ich wunderte mich, dass ein Zeuge Jehovas so etwas Fröhliches, Unbeschwertes schaffen konnte. In den Achtzigern veröffentlichte er eine Weihnachts-CD6.
Das irritierte mich. Sind wir doch nicht alle gleich? Wie war diese CD voller Weihnachtslieder mit den strengen Regeln der Organisation, und deren Verbot für ein heidnisches Weihnachtsfest vereinbar?
Generell steht diese der weltlichen Musik zwiespältig gegenüber. Vieles wurde als dämonisch und spiritistisch eingestuft. In den Versammlungen gingen Listen mit Namen von Künstlern und Bands herum, die den Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten und Anhänger des Satanismus seien. Jeder wusste von den Liedern, die rückwärts abgespielt Botschaften Satans verkündeten. Die sogenannte Rückwärtsprogrammierung. Auch Backmasking7 genannt. Das Unterbewusstsein sei in der Lage, das von Satan und seinen Dämonen Vermittelte zu entschlüsseln und zu verstehen. So war es in den 80er-Jahren ein absoluter Renner, Musik zu bewerten und auszusortieren. Viele Mitglieder vernichteten ihre kostbaren Schallplattensammlungen. Ich besaß keine Schallplatten, sondern hörte die vom Radio mitgeschnittenen Musikkassetten. Später sparte ich mein mickriges Taschengeld. 15 Mark. Monatelang. Im Schaufenster eines Elektroladens sah ich einen Walkman. Silberglänzend. Er kostete 180 Deutsche Mark. Als ich ihn in den Händen hielt, tanzte ich vor Freude. Bis mein Vater sich das Gerät auslieh. Natürlich war er begeistert. So wie ich. Ich bekam den Walkman nicht zurück. Er konfiszierte ihn mit den Worten: „Dein Taschengeld ist mein Geld. Deshalb gehört der Walkman mir!“ Wenn er mit geschlossenen Augen auf dem Sofa ganz ergeben Jehovas Melodien lauschte und dabei vor sich hin grinste, musste ich das erdulden. Er war mein Haupt, der Mann des Hauses, und ich war ihm untergeordnet. Für meine künftigen Käufe suchte ich mir Verstecke. Gute Verstecke.
Anfangs übte ich jeden Tag mit dem Akkordeon, auch wenn ein Nachbar sich über mein Spiel beschwerte. Für ihn klang es wie das Gejammer eines Esels, dem jemand auf den Schwanz tritt. Im Treppenhaus rief er mir „Ia-Ia“ zu. Das brachte mich aus der Fassung. Es dauerte nicht lange und ich fand keine Kraft mehr zum Spielen. Die brauchte ich im Überlebenskampf gegen meinen Vater und die Religion, die mich immer unglücklicher machten. Das Akkordeon landete in einer Ecke, als ich zehn oder elf Jahre alt war. Ich hegte und pflegte es meiner Mutter zuliebe. Immer wieder bläute sie mir ein: „Pass gut darauf auf, das Instrument war teuer. Ich habe es von meinem eigenen Lohn bezahlt!“
Bis heute, auch nach über vierzig Jahren, hüte ich das Akkordeon wie einen Schatz.
Der schlimmste Verzicht war der auf Freundschaften. Vor meinen Schulkameraden sollte ich mich hüten, denn sie waren Werkzeuge Satans, der uns verführen wollte. Meine beste Freundin Ela durfte ich nicht mehr treffen. Wir spielten trotzdem zusammen. So oft wir konnten. Heimlich. Bis zum Beginn unserer Ausbildung. Nur meine Mutter wusste davon, denn sie traf ebenfalls weiterhin ihre beste Freundin, immer dann, wenn mein Vater arbeitete. Ich lernte, Geheimnisse vor ihm zu verbergen. Er verzichtete auf Freunde, egal ob unter den Zeugen Jehovas oder Außenstehenden. Die Mitglieder der Organisation pflegen keine weltlichen Bekanntschaften. „Denn Freundschaft mit der Welt bedeutet Feindschaft mit Gott!“ (Zitat aus Brief des Jakobus, Kapitel 4, Vers 4) Ohne Kompromisse! Mein Vater war fortan Einzelgänger. Manchmal schnorrte er sich nach einer Versammlung im Königreichsaal ein oder zwei Flaschen Bier von Glaubensbruder David. Ein lustiger Zeitgenosse mit einer sehr warmherzigen Ehefrau. Jedes Mal bat dieser ihn zu sich herein, mein Vater winkte größtenteils ab. Bruder David war viele Jahre ausgeschlossen und erst seit kurzer Zeit mit seiner kleinen Familie wieder aufgenommen worden. Mein Vater hatte Bedenken und trank das geborgte Bier lieber allein zu Hause. „Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten!“ (1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 33). Nur keine Risiken eingehen. Er entwickelte soziale Ängste mit leicht paranoiden Zügen, weil so viele Ungläubige in Satans Fängen waren. So entfernte sich mein Vater auch von meiner Mutter. Liebe mutierte vor meinen Augen in Hass, der auf mich überschwappte. Den waghalsigen Abenteurer, den ich einst bewunderte, verachtete ich wegen seiner verbalen und körperlichen Quälereien. In seinen Augen konnte ich nie etwas richtig machen.
Die Nachbarn belächelten uns überwiegend. Wir waren schräge Vögel. Drollig. Ich hatte einen Wellensittich, einen grünen Dänischen Schecken namens Coco. Meine Mutter kaufte den Vogel, damit ich nicht so verloren und einsam in meinem Zimmer sitzen musste. Coco und ich verbrachten viel Zeit hinter verschlossenen Türen. Jeder in seinem Gefängnis.
Unter den Zeugen fand ich kaum Freunde. Und wenn, waren diese Freundschaften nie bedingungslos.
In den 70ern lebten zahlreiche Gastarbeiter in unserer Stadt. In einem kleinen Nebensaal des Königreichssaals hielt die Gemeinschaft deswegen zum Beispiel Bibelstudien-Veranstaltungen in Griechisch ab. Dort traf ich Aithera, ein dunkelhaariges Mädchen mit braunen Augen und großer Nase. Bei Vorträgen saß ich gern neben ihr. Ich verstand kein Wort, aber wir waren zusammen. Zum Zeitvertreib malte ich die fremdartigen Buchstaben aus den griechischen Publikationen nach. Manchmal flüchtete ich in den alten, unbeheizten Toilettenbereich. Es stank fürchterlich, war dafür friedlich. Ich trank aus dem alten Wasserhahn mit Grünspan. Das kalte Nass lief mir über die Arme. Das war göttlich!
Mit Beginn der Pubertät stand ich mehr und mehr unter Beobachtung. Viele meiner „Freunde“ bespitzelten mich. Heute, nach den zahlreichen Gesprächen mit anderen Aussteigern stelle ich fest, dass es ihnen ebenso erging. Jeder denunzierte jeden. Es schien üblich zu sein. Wir waren Avatare, Zombies, angefüllt mit einem verdrehten Glauben. Freundschaft war an Bedingungen geknüpft. Nichts daran echt. Das weiß ich heute. Damals glaubte ich an die weltweite Bruderschaft und große Familie. Wie ein Mantra hörte ich immer und immer wieder, dass wahre Liebe nur unter Zeugen Jehovas zu finden sei. Welch Täuschung! Das einstige „Ich“ war völlig ausgelöscht, das Herz vom Verstand getrennt.
Ich musste immer vorsichtig sein. Beim kleinsten Fehlverhalten rannten meine „Freunde“ zu ihren Eltern und erzählten alles brühwarm. Diese meldeten die Sünden meinem Vater in Erwartung einer Strafe. Seine Zurechtweisungen wurden über die Jahre schlimmer. Erst waren es pflichtbewusste Unterhaltungen, hinterher Beschimpfungen und Kränkungen, laut und wüst, dann Schläge8, die in einem völlig enthemmten Übergriff endeten, als ich neunzehn war. Obwohl mein Vater kein aggressiver Mann war, schlug er mich. Nur mich. Denn:
„Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.“
(Lutherbibel, Buch der Sprüche, Kapitel 13, Vers 24)
Die Züchtigungen waren ein Beweis seiner Hilflosigkeit und Verzweiflung, in der er zur Ältestenschaft rannte. „Nach oben kriechen, nach unten treten“ war seine Lebensphilosophie geworden. So schnürte sich die Schlinge um meinen Hals immer enger. Und meine Mutter? Die machte mit, obwohl sie sich selbst Freiheiten herausnahm. Sie hatte schwache Nerven, eine kurze Zündschnur, und strafte mich mit brennenden Ohrfeigen. Bis heute löst eine erhobene Hand, selbst wenn sie eine Tasse aus dem Regal greift, eine Schutzreaktion aus. Ich reiße die Arme hoch. Der Schreck aus alten Tagen fährt mir in alle Glieder. Ich kann es nicht abschalten.
Meine Mutter holte sogar öfter aus als mein Vater. Er war dafür kräftiger und impulsiver.
Wie erleichtert war ich, dass ich Ela hatte. Sie war die Verbindung in mein altes Leben. Zwar konnte sie mir nicht helfen, aber zuhören, mich halten und ablenken. Ich gewann für wenige Augenblicke etwas Unbeschwertheit zurück. Das wollte ich nicht aufgeben, nicht meine Ela, auch nicht, um ihren Tod in der Endzeitschlacht besser zu verschmerzen. Sie und ihre Familie würden abgeschlachtet werden, und das verstand ich nicht. Was hatte meine Freundin verbrochen? Warum mussten Babys sterben? Und Tiere? Kollateralschäden. Das eine oder andere Haustier musste eben mit seinem gottlosen Herrchen in die Erdspalte fallen oder Feuer fangen.
Ob ich wollte oder nicht, ob ich es verstand oder nicht: Wenn ich überleben wollte, musste ich verzichten, verzichten, verzichten.

1 Die Leitende Körperschaft
Die leitende Körperschaft (LK) der Zeugen Jehovas, auch „der treue und verständige Sklave“ (Matthäusbrief, Kapitel 24, Vers 45) genannt, stellt das geistige Führungsgremium weltweit dar. Derzeit (Stand Oktober 2024) besteht es aus elf Männern und agiert von der Weltzentrale der Zeugen Jehovas in Warwick im Bundesstaat New York aus. Diese kleine Gruppe von Männern versteht sich durch den Heiligen Geist ernannt und inspiriert als Mitteilungskanal Gottes. Sie seien „geistgesalbt“, also mit Hoffnung auf einen Regentenposten im Himmel ausgestattet und erwarten bedingungslosen Gehorsam der Gläubigen. Diese haben sich strikt an vorgegebene Anweisungen und Richtlinien zu halten.
Die „LK“ sieht sich als Teil der 144.000 mit himmlischer Auferstehungshoffnung.
(Mehr dazu in Kapitel 5 – Infobox)
2 Die Literatur der Zeugen Jehovas
Den Mitgliedern der Organisation ist untersagt, kritische Literatur über ihre Glaubensgemeinschaft z. B. von Aussteigern zu lesen. Sie sollen einzig mit den Schriften der Wachtturmgesellschaft studieren. Zur Verfügung stehen auch andere umfangreiche Veröffentlichungen. Recherche auf eigene Faust soll nicht stattfinden, nicht mal Bibelstudienkreise im Alleingang.
(Quelle: „Unser Königreichsdienst 2007“https://wol.jw.org/de/wol/d/r10/lp-x/202007325)
Nachdem die Lehren im Laufe des Bestehens der Religionsgemeinschaft immer Veränderungen unterlagen, empfiehlt die Organisation, keine älteren Ausgaben ihrer eigenen Publikationen zu lesen.
Abgeänderte neue Lehren bezeichnet die Organisation als „Neues Licht“, überholte Lehrmeinungen sind „Altes Licht“. Sie sind tabu und werden nicht mehr gelehrt oder gepredigt. „Neues Licht“ von heute kann zu „Altem Licht“ von morgen werden.
Um die eigenen Lehren zu untermauern, nutzt die Organisation eine eigene Bibelversion: die „Neue Welt Übersetzung der Heiligen Schrift“. Der Inhalt wurde in der Vergangenheit immer wieder verändert.
3 Predigtdienst / Felddienst
Ein Zeichen der wahren Christen ist laut Zeugen Jehovas das von Jesus beauftragte weltweite Predigen der Guten Botschaft.
„Geht daher hin, und macht Jünger aus Menschen aller Nationen, tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, […].“ (aus Matthäusbrief, Kapitel 28, Vers 19) „Diese gute Botschaft vom Königreich wird auf der ganzen bewohnten Erde gepredigt werden, allen Nationen zu einem Zeugnis; und dann wird das Ende kommen.“
(Zitat aus Matthäusbrief, Kapitel 24, Vers 14.)
Aufgrund dieses Auftrags ziehen die Gläubigen von Tür zu Tür oder positionieren sich mit Literatur auf öffentlichen Plätzen. Zeugen Jehovas sehen das Predigtwerk als Anzeichen dafür, die wahre und richtige Religion zu sein. Allerdings führen auch Mormonen das Predigtwerk aus.
Der Predigtdienst wird als freiwillige Glaubensausübung dargestellt, ist für einen Zeugen Jehovas aber Pflicht. So finden sich in ihrem Religionsrecht, beziehungsweise aktuellen „Statut der Religionsgemeinschaft“ die Begriffe „Glaubensverpflichtung“ und „Glaubensausübung“ in Verbindung mit dem Predigtdienst.
(Quelle: Statut der Religionsgemeinschaft, § 13 Abs. 3 StRG [3])
Lange bezeichneten die Zeugen Jehovas den Predigtdienst als „Felddienst“. Im Ersten Weltkrieg zogen sie als Soldaten an die Front. Der als „Felddienst“ bezeichnete Predigtdienst war buchstäbliche Realität, blutig und erfolglos gegenüber einem tausendfach stärkeren Feind. Später lehnte die Organisation eine Teilnahme am Krieg entschieden ab, ja verleugneten sogar Fronteinsätze. Sie definierte den Begriff „Felddienst“ neu. Nun steht er für das Missionieren, das Fischen nach Menschen fürs Paradies.
4 Verbot von Geburtstagen und Feiertagen
Die „Menschenverehrung“, wie sie bei einem gefeierten Geburtstag praktiziert wird, ist bei Zeugen Jehovas untersagt. In der Bibel sind nur zwei Geburtstage erwähnt. Jede Erwähnung steht in Zusammenhang mit einem schrecklichen Ereignis. Bei der Geburtstagsfeier von König Herodes wird Johannes der Täufer enthauptet. Eine weitere Erzählung handelt von den Festlichkeiten eines Herrschers in Ägypten. Auch hier wird ein Mann enthauptet und sein Leichnam an einem Baum aufgehängt, damit ihn die Vögel fressen. Aus diesem Zusammenhang interpretiert die Glaubensgemeinschaft, dass Jehova Geburtstagsfeiern verabscheut.
Ein gefeierter, „verehrter“ Mensch könnte dabei auch stolz und hochmütig wie Satan werden. Um Menschenverehrung zu verhindern, hingen in den Kinder- und Jugendzimmern meiner Generation Zeugen Jehovas keine Poster von Sport-Idolen und Besuche auf Konzerten angesagter Bands waren verpönt.
Feiertage wie Ostern und Weihnachten basieren auf heidnischen Bräuchen, und unter anderem deshalb gehen die Zeugen Jehovas davon aus, dass Jesus nicht am 24. Dezember geboren ist.
Das Datum wurzelt in heidnischen Bräuchen, denn es ist der Zeitpunkt im Jahr, an dem die Tage wieder länger werden, die Wintersonnenwende. Der Ursprung ist im antiken Ägypten und anderen Hochkulturen zu finden. Die Römer z. B. feierten an diesem Tag den Geburtstag ihres Gottes Sol, die Germanen und Kelten den ihres Gottes Jul.
Die biblischen Erzählungen von Jesu Geburt berichten von Hirten und Schafen auf Feldern. Im Dezember ist es selbst in dieser Region zu kalt, um mit dem Vieh unterwegs zu sein. Unabhängig davon – die Zeugen Jehovas feiern keine Geburtstage. Auch nicht den von Gottes Sohn.
5 Karneval und Fasching
Der Karneval gilt als vorösterliches Brauchtum vor der Fastenzeit, das in heidnischen Festen wurzelt. Zudem sind ausgelassene Stimmung und Ausschweifungen unter Zeugen Jehovas verpönt. Gerade gegen Ende des Faschings wird jedoch übermäßig gefeiert. Das bezeugt die allgemein bekannten Geburtenzunahme im November. Alles, was heidnischen Ursprungs scheint, lehnen die Zeugen Jehovas strikt ab.
6 Weihnachts-CD von Ricky King
Das Album „Leise rieselt der Schnee – die 20 schönsten Weihnachtslieder“ von Ricky King erschien 1988 bei EPIC-Records. Hans Lingenfelder, so sein bürgerlicher Name, ist seit 1979 getaufter Zeuge Jehovas.
7 Backmasking
Unter dem Begriff sind sogenannte Rückwärtsbotschaften gemeint. Rückwärts abgespielte Musikstücke können beabsichtigte Nachrichten enthalten. Oft ist viel Fantasie nötig, um aus den zusammenhanglosen Worten einen Sinn zu verstehen.
Eines der ersten und bekanntesten Lieder, das absichtlich mit Rückwärtsbotschaften versehen ist, soll sich auf der B-Seite (Titel: „Rain“) der 1966 von den Beatles erschienen Single „Paperback Writer“ befinden. Auch andere Bands nutzen das Backmasking für künstlerische oder satirische Zwecke.
In den 80er-Jahren begannen christliche Gruppierungen in Amerika zu behaupten, die Rückwärtsbotschaften enthielten Anweisungen von Satan zu Drogenmissbrauch, okkultem, sexuellem und suizidalem Verhalten. Die Jugend sei unter Beeinflussung dieser Technik und würde zu sittlichem Verfall angestiftet.
Ein sehr bekannter Song, der zu meiner Zeit als höchst satanisch galt, war „Hotel California“ von den „Eagles“. Würde man den Titel rückwärts abspielen, könne man Lied-Passagen wie „Satan he hears this. He had me believe.“ verstehen.
Das zugehörige Album war das meistverkaufte Album des 20. Jahrhunderts in den USA. Unter Zeugen Jehovas begegnete mir immer wieder die Theorie, dass diese Bands ihren Erfolg Satan zu verdanken haben, dessen Unterstützung sie mit dem Backmasking in Anspruch nahmen.
Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben, dass die Technik des „Backmasking“ wirkungslos ist. Dem Unterbewusstsein ist es nahezu unmöglich, Wortfetzen aus der Musik herauszufiltern und einen Sinn zu verstehen.
8 Die Züchtigung von Kindern
Ein ebenso zitierter Bibelvers zur Erziehung der Kinder lautet:
„Enthalte doch dem, der noch ein Knabe ist, die Zucht nicht vor. Falls du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben. Du solltest ihn mit der Rute schlagen, damit du seine Seele vom Scheol [Grab] befreist.“
(„Neue Welt Übersetzung der Heiligen Schrift“ Auflage 2006 – Buch der Sprüche, Kapitel 23 Verse 13 und 14)
In dem Buch der Zeugen Jehovas „Einsichten über die Heilige Schrift“ liest man:
„In der Heiligen Schrift wird wiederholt betont, wie nützlich Schläge als Strafe sein können. Sprüche 20:30 zeigt, dass die Züchtigung bis ins Innerste dringen und bewirken kann, dass sich der Gezüchtigte bessert. Der Text lautet: „Quetschwunden sind es, die das Schlechte wegscheuern, und Schläge die innersten Teile des Leibes.“ Der Gezüchtigte sollte erkennen, dass er töricht gehandelt hatte und dass er sich ändern sollte (Sprüche 10:13; 19:29). Wer wirklich weise ist, lässt sich mit Worten zurechtweisen, sodass es nicht nötig wird, ihn zu schlagen. Da alle Menschen „in Vergehen“ hervorgebracht und „in Sünde“ empfangen werden (Ps 51:5), gibt die Bibel Eltern den Rat, die Rute der Autorität konsequent anzuwenden, manchmal auch in Form der buchstäblichen Rute (Spr 22:15). Dadurch mag das Kind vor Schaden oder gar vor dem Tod bewahrt werden (Spr 23:13, 14).“
(Quelle: „Einsichten über die Heilige Schrift“, Auflage 2023, Band 2, Seite 848, Stichwort „Schlagen“)
Die Rute symbolisiert auch das buchstäbliche Züchtigungsmittel. Eltern sind Gott gegenüber verpflichtet, ihr Kind in Zucht zu nehmen: „Eltern, die das nicht tun, bringen nicht nur Verderben und den Tod über ihr Kind, sondern sie bringen auch Schande über sich und ziehen sich Gottes Missbilligung zu.“ […] „Enthalte doch dem, der noch ein Knabe ist, die Zucht nicht vor. Falls du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben. Du solltest ihn mit der Rute schlagen, damit du seine Seele vom Scheol befreist.“
(Quelle: „Einsichten über die Heilige Schrift“, Auflage Juli 2023, Band 2, Seite 1012, Stichwort „Stab, Stock, Rute – Elterliche Autorität“)

Seit 2000 ist die körperliche Bestrafung von Kindern in Deutschland verboten und Gewalt als Mittel der Erziehung eine Verletzung der Würde des Kindes. Trotzdem findet man die Anweisungen der Führerschaft der Zeugen Jehovas bis heute in deren Literatur – selbst in aktuellen Veröffentlichungen, wie hier aus dem Jahre 2023.
Die tiefsitzende Angst der Eltern, das Kind könnte in der Schlacht von Harmagedon ermordet werden, mag sie veranlassen, es auch durch Schläge zu kontrollieren.
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Liebe Esther, diese Zeilen erschüttern mich zutiefst. Du bist einem so extremen Spannungsfeld ausgesetzt gewesen, dass ich nur mit großer Bewunderung darüber staunen kann, wieviel Mut und Tapferkeit Du aufwenden konntest, um das zu überstehen. Ja, das Lovebombing haben wir als Flüchtlinge auch erlebt. Es war der Köder in der Falle, die zugeschnappt ist. Ich musste mich auch mit der „schicklichen“ Kleidung arrangieren und habe mir regelmäßig die weiten Stufenröcke selbst genäht. Es ist mir gelungen, die Außenseiter Rolle als Auszeichnung zu interpretieren, denn damit war ich ja die klügere von allen. Sie rannten ja alle in ihr Verderben. Ich war leider wirklich naiv und leichtgläubig. Die Versprechungen waren einfach zu verführerisch. Aber außer einigen wenigen Ausrutschern hat mein Vater keine körperliche Gewalt angewandt und meine Mutter verstand sich viel besser auf die psychologische Manipulation. Sie wirkte tief in das Unterbewusstsein. Ich frage mich, was hat Deinen Vater so extrem hart werden lassen? Welche Rolle spielen seine Erfahrungen in seiner frühen Kindheit? Wo hatten die Seelenfänger eine Möglichkeit mit ihren Verführungen an zu doggen? Ich umarme Dich, denn Du bist großartig.