Zeugen Jehovas – Manipulation durch Gehirnwäsche?

In den Fängen eines Kultes – der Mensch wird zur Marionette

Wenn ich heute, viele Jahre nach meinem Leben in einer sektenhaften Gruppierung, mit Menschen über meine Vergangenheit spreche, fällt oft der Begriff „Gehirnwäsche“. Er wird umgangssprachlich inflationär genutzt. Meines Erachtens greift der Einfluss eines destruktiven Kultes, einer Sekte (auch “High Control Group”) oder mancher religiösen Randgruppierung weiter, bzw. tiefer.

Was ist Gehirnwäsche?

Die Gehirnwäsche ist eine psychologische Manipulationstechnik. Eine neue Realität wird geschaffen und somit das eigene Urteilsvermögen samt Selbstvertrauen gebrochen. Laut Klaus Mehnert (deutscher Journalist, Publizist und Hochschullehrer) stammt der Ursprung dieses Begriffs aus dem Chinesischen „xi nao“ (waschen Gehirn) und wurde seiner Aussage nach bereits Ende der 1920er Jahre an gefangenen Kuomintang-Soldaten getestet.


Der Begriff „Gehirnwäsche“ wurde von dem Journalisten Edward Hunter in seinem Artikel „Brain-Washing Tactics Force Chinese into Ranks of Communist Party“, der im Jahre 1950 in den Miami News erschien, erwähnt und in den englischen Sprachschatz übernommen. Die Manipulationstechnik des „Brainwashing“ wurde dann angeblich auch für im Koreakrieg gefangene Amerikaner verwendet, die fiktive Kriegsverbrechen gestanden, damit ihre Loyalität umdrehten und die Seiten wechselten.


Der amerikanische Psychiater Robert Lifton war ebenso in die Untersuchung amerikanischer Soldaten mit Gefangenschaftserfahrung involviert und fand heraus, dass die Veränderungen des Denkens der Gefangenen einer Art Gruppendoktrin unterlagen. Er nannte das „Gedankenreform“, bzw. „Gedankenkontrolle“.


Auch George Orwell beschreibt in seinem Buch „1984“ den Vorgang einer Gehirnwäsche, ohne diesen Begriff auch nur ein einziges Mal zu erwähnen.

Wie entsteht Gehirnwäsche?

Margaret Singer (Amerikanische Psychologieprofessorin) beschreibt in sechs Schritten den Vollzug einer Gehirnwäsche. Es handle sich um eine von außen nicht erkennbare soziale Anpassung, wodurch die zu manipulierende Person über das Geschehene in Unkenntnis gelassen wird und nicht bemerkt, dass sie nach und nach gefügig gemacht und fremdgesteuert wird. Die Manipulation von Informationen findet also verdeckt statt. Schleichend und subtil wird ein Gefühl von Machtlosigkeit erzeugt und Systeme von Strafe und Belohnung installiert. Die frühere Person, bzw. Identität wird unterdrückt und schliesslich ein in sich geschlossenes logisches System samt autoritärer Machtstruktur installiert.


Das Kontrollsystem einer Führung, die vom Betroffenen als Freund oder Mentor wahrgenommen wird, erlaubt keine Kritik. Aufgrund einer scheinbaren Vertrauensbasis fährt der eigene Schutz- und Verteidigungsmechanismus einer Person herunter. Sie erliegt der Illusion einer eigener Kontrollfähigkeit und damit dem Eindruck, über eigene Entscheidungsfreiheit und über eine eigene Realität zu verfügen. In Wirklichkeit sind diese Fähigkeiten ausgeschaltet. Neue Gedanken, bzw. Phrasen werden von den Opfern wie in Leierkästen oder hängenden Schallplatten wiederholt.


Die Person wird über seinen versklavten Geist zur Marionette, zu einem menschlichen Roboter. Sie ist nicht mehr Herr des eigenen Verstandes. Margaret Singer untersuchte als leitende Psychologin in einem Armeekrankenhaus die Auswirkungen einer Gehirnwäsche – die sie wie R. Lifton Gedankenreform nannte – bei Gefangenen aus dem Koreakrieg.

Singers 6 Punkte für eine Gehirnwäsche

1. Erlange die Kontrolle über jemandes Zeit, besonders über sein Denken und seine Umgebung
2. Schaffe ein Gefühl von Ohnmacht, Abhängigkeit und Furcht. Benenne Vorbilder, die das neue und ideale Verhalten zeigen;
3. Arbeite mit Belohnungs- und Bestrafungssystemen, um frühere Verhaltensmuster und Einstellungen eines Soldaten zu unterdrücken, einschliesslich alternativer Bewusstseinszustände, um Erfahrungen zu manipulieren;
4. Manipuliere durch Belohnung, Bestrafung und Erfahrungen, um erwünschte Verhaltensmuster und Einstellungen hervorzubringen;
5. Erschaffe ein straffes Kontrollsystem samt geschlossenem Logikgebäude, bei dem Abweichende aufgrund ihres Infragestellens denken, etwas Grundlegendes stimme nicht mit ihnen selbst;
6. Halte die Betroffenen uninformiert und unwissend darüber, dass ein Plan existiert, sie zu kontrollieren oder zu verändern.

Eine Gedankenreform / Gehirnwäsche ist nicht möglich, wenn jemand im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und Verstandes funktioniert. Setzt sich eine Person wissentlich über seine eigene innere Instanz hinweg, entsteht eine kognitive Dissonanz.

Die kognitive Dissonanz

Wir Menschen haben unsere Überzeugungen, Einstellungen und Werte. Dementsprechend entscheiden und handeln wir bewusst. Verändert sich das Verhalten einer Person, verändern sich auch Gefühle und Gedanken. Wenn das eigene Verhalten im Widerspruch zu eigenen Überzeugungen und Werten steht, entsteht eine sogenannte „kognitive Dissonanz“.

Die seelischen Spannungen lassen sich nur begrenzt aushalten und der Mensch wird versuchen, diese Dissonanz zu lindern. Die Theorie der kognitiven Dissonanz wurde vom amerikanischen Sozialpsychologen Leon Festinger entwickelt.
Die Dissonanztheorie bildet die Annahme, dass einander widersprechende, oder nicht zueinander passende Kognitionen zu einem unangenehmen Zustand, und somit zu Spannungen führen. Um diesen Konflikt zu umgehen, werden dann nur jene Informationen beachtet, welche die getroffene Entscheidung als richtig darstellen. Der Entscheidung gegensätzliche Informationen werden nicht beachtet oder abgewehrt.
Befinden sich Verhalten und Kognition einer Person in Widerspruch, bzw. besteht eine Gefährdung des Selbstkonzepts, wird sie gezwungen sein, beides miteinander in Einklang zu bringen. Neue Fähigkeiten oder Ideen werden entwickelt, um die Spannung abzubauen. Dazu dienen Abwehrmechanismen wie Verhaltensänderungen und/oder das Ändern der eigenen Einstellung. Selbst eigene Werte können dabei über Bord geworfen werden.

Gehirnwäsche im religiösen Kontext

Hoch manipulative Gemeinschaften, wie neue Religionen, Kulte und Sekten erfreuen sich stets am Zulauf von Suchenden. Manche bleiben in einer Gruppierung verhaftet, wie die Fliege auf dem Klebstreifen. Auch dafür gibt es einen Grund: Das verlockende Lovebombing. Wenn das Machwerk der Manipulation einsetzt, ist man schon längst von „Wahrer Liebe und Zuneigung“ geblendet.
Es ist kein Zeichen von Naivität oder Dummheit, in eine solche Falle zu geraten. Die Vorgehensweisen einiger Gruppierungen spielen bewusst mit Ängsten und Bedürfnissen von Menschen.

„Ein Gläubiger muss soziale Unterstützung von anderen Gläubigen haben!“ – Leon Festinger –

Die persönliche Entwicklung und Individualität des Menschen ist in diesen Gruppen unerwünscht, wird gar als Bedrohung empfunden. Ein Betroffener wird seine Zugehörigkeit allerdings als Bereicherung und Gewinnbringend empfinden. Der Mensch beginnt sich zu verändern, ohne es selbst zu bemerken. Veränderungen bemerken nur Personen im Umfeld, wie Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen. Für Aussenstehende entsteht dann der Eindruck, diese Person wäre einer Gehirnwäsche unterzogen worden.
Verzweifelte Familienangehörige engagierten schon „Deprogrammer“, um das Gehirn des geliebten Menschen zu deprogrammieren und damit zu befreien.

Wurde bei Soldaten in Gefangenschaft Gewalt eingesetzt, um diese Menschen mittels brutaler Gehirnwäsche zu brechen, arbeiten Mechanismen in vielen Sekten und Kulten viel subtiler und tiefgreifender, und weniger mit offener Gewalt. Es gibt keine Methoden wie Folter, Opfer in Handschellen oder tagelange Verhöre mit Schlafentzug. Es ist die Manipulationstechnik der Gedanken-, bzw. Bewusstseinskontrolle. Oft mit weitreichenden Konsequenzen, die die Person den Rest ihres Lebens zu ertragen hat. Selbst, wenn sie schon lange nicht mehr Teil der Gemeinschaft ist.

Der amerikanische Psychologe und Sektenspezialist Steven Hassan beschreibt die Mechanismen in seinem von ihm entwickelten BITE-Modell.